Beten ist gefährlich
Zugegeben, als freundliche Einladung, es wieder einmal mit dem Beten zu versuchen, habe ich diese Behauptung, die ich neulich gehört habe nicht gerade empfunden. Es drängt sich mir die Frage auf, von welcher Art ein Gebet wohl sein muss, damit es als "gefährlich" bezeichnet werden kann. Und da gibt es ja recht unterschiedliche Weisen zu beten.
Am weitesten verbreitet ist wohl die Vorstellung, Beten sei "sprechen zu Gott". Da ist gewiss etwas Wahres dran, wenn die gesprochenen Worte aus tiefstem Herzen kommen. Aber bei dieser Weise des Betens kann es auch geschehen, dass ich in einem riesigen Wortschall auf Gott einrede, mit dem Herzen aber ganz woanders bin. Mit meiner Fülle an Worten liege ich zwar Gott in den Ohren aber meine eigenen Ohren aber sind verschlossen und nicht auf Empfang gestellt.
Diese Beten, das als reines Lippenbekenntnis ein reiner Monolog ist, wird ohne verwandelnde Kraft für mein Leben bleiben, da ich diese Verwandlung auch überhaupt nicht begehre. Deshalb kann ein solches Gebet als völlig ungefährlich eingestuft werden.
Gefährlicher wird es schon, wenn das Gebet ein dialogisches Geschehen ist. Ich wende mich als betender Mensch an Gott, lasse aber auch zu, dass sich Gott mir zuwenden kann. Dieses Gebet gleicht dann einem Gespräch von Person zu Person, bei dem der eine wie der andere auch zum Hörenden wird.
Brandgefährlich aber wird es, wenn ich beim Beten ganz zum Hörenden, ganz Ohr werde. Schweigend verweile ich dann vor Gott und warte auf dessen Wort. Vertrauensvoll lege ich mein Leben in Gottes Hand und bringe damit mehr zum Ausdruck, als Worte je ausdrücken vermögen. Mit dieser Selbstauslieferung verlasse ich den Boden der Berechenbarkeit und Planbarkeit meines Lebens. Nichts lässt sich mehr mit Sicherheit im Voraus bestimmen, da ich mein Leben nicht mehr selbst in der Hand habe. Es ist zu einem Abenteuer der Liebe Gottes geworden. Wer es wagt, sich ganz auf dieses Abenteuer einzulassen, wird mit dem eigenen Leben Zeugnis dafür ablegen, dass das Beten in der Tat gefährlich ist.
Carmen Lenner, ev. Gemeindereferentin